Beschreibung
Für über 100 Jahre existierte – mitten in der Großstadt Wien – eine mehr als sechs Quadratkilometer große Fläche, die wegen ihrer primären Aufgabe als Inundationsgebiet (Überschwemmungsgebiet) weder städtebaulich noch im Sinne der Freizeitindustrie verplant werden konnte. Trotz ihres Charakters als große Ebene bot sie versteckte Winkel, von den stehenden Gewässern bis zu den Bombentrichtern, die der Zweite Weltkrieg zurückgelassen hatte.
Seine Popularität verdankt das Überschwemmungsgebiet denn auch seiner Quernutzung: Viele Wienerinnen und Wiener nahmen die Wiese für ihre Zwecke in Besitz. Sie gingen dort wandern und baden, fuhren Rad, ließen Drachen steigen, spielten Fußball und labten sich bei den zahlreichen Schutzhütten. Abends und nachts wurde sie zum erotischen und gefährlichen Ort, denn die unkontrollierte und unkontrollierbare Wiese hatte auch ihre „dunkle Seite“: Hier wurden nicht nur Kinder gezeugt, sondern auch Selbstmorde verübt, sie war ein Ort für Prostitution und Verbrechen, für Alkoholismus und Schleichhandel.
So stand das Überschwemmungsgebiet einer resistenten und kreativen Aneignung durch die Bevölkerung offen und wurde gerade deshalb bis zur Fertigstellung der Neuen Donau im Jahr 1987 zu einem Wiener Wahrzeichen.
- Der Anlegesteg der Überfuhr von Jedlesee zur Dampfschiffstation Nußdorf im Jahr 1931.
- Auch weiter im Süden der Donauwiese sah es nicht wesentlich anders aus: „Badefreuden“ nannte der Fotograf Albert Hilscher sein Bild aus dem Sommer 1931, das er vermutlich von der Reichsbrücke aus geschossen hat.
- Die Anlage der Siedlung Schwarzlackenau war erst durch die Donauregulierung möglich geworden.
- Zwischen 1920 und etwa 1930 bestand an der Chalupna-Lacke oberhalb der Floridsdorfer Brücke beim Hubertusdamm eine hölzerne Badeanstalt, die sich etwas hochtrabend „Floridsdorfer Bad“ nannte.
- Ein Hochwasser im Sommer 1965 setzte wieder einmal das Inundationsgebiet samt Erfrischungsbuden unter Wasser.
- Eine sommerliche Sonntagsszene vom Überschwemmungsgebiet aus den 1930er-Jahren.
Weitere Impressionen aus dem Band
- Die Donauschiffe, ob Schleppkahn oder Passagierschiff, gehörten zu den Attraktionen der Donauwiese. Aufnahme vom April 1959.
- Auch das gab es. Das Überschwemmungsgebiet mit Kuhherde.
- Die Magistratsabteilung für Brücken- und Wasserbau sowie die Wiener Feuerwehr waren für den Hochwasser- und Katastrophenschutz zuständig. Hier ein Feuerwehrmann samt Rettungszille im Jahr 1932.
- Flugplatz Jedlesee. Die Passagiere reisten meist mit der Fähre von Nußdorf an.
- Wasserrutsche an der Alten Donau kurz vor 1900.
- Im Februar 1893 wurde das Inundationsgebiet in eine bizarre Eislandschaft verwandelt.
Der Autor
Matthias Marschik
Matthias Marschik, Dr. phil. habil., Studium der Psychologie und Philosophie in Wien. Historiker und Kulturwissenschafter, Lehrbeauftragter der Universitäten Wien, Salzburg und Klagenfurt. Zahlreiche Bücher und Aufsätze zu kulturgeschichtlichen Themen (besonders zu Sport, Automobil und Alltag).
Matthias Marschik ist in Floridsdorf geboren, er lebt und arbeitet auch heute noch im Bezirk. Das Inundationsgebiet war in seiner Kindheit und Jugend sein „Abenteuerspielplatz“.