Lily und Jack
Format: ca. 12 x 20 cm
Umfang: 98 Seiten
Einband: Hardcover mit Schutzumschlag
€ 18,00
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Beschreibung
Lily, ich erinnere mich für dich, schreibt die Icherzählerin. Sie folgt den Spuren des kleinen Mädchens und der Jugendlichen. Sie geht den spärlichen Fakten nach, die Lily in ihrem späteren Leben preisgibt, und verknüpft das Erlebte mit historischen Hintergründen.
Sie erzählt von Lilys Kindheit und Jugend im Graz der 1930er- und 1940er-Jahre. Vom Aufstieg des Nationalsozialismus, von den Veränderungen in der Stadt, den Aufmärschen und der Jungmädel-Mitgliedschaft … Peperl, ihre Mutter, glaubt an bessere Zeiten. Es gibt eine neue Wohnung, doch Vater wird einberufen. Sie bleibt mit ihrer Mutter zurück. Danach die Bombenangriffe, ihre Flucht und die Rückkehr in die zerstörte Stadt.
Als alles vorbei ist, will sich die Familie an diese Zeit nicht mehr erinnern. Zu den enttäuschten Hoffnungen und den Verbrechen der Nationalsozialisten, die sie nicht sehen wollten, bleiben sie stumm. Mit Jack, den seine Erlebnisse an der Front immer wieder heimsuchen, will Lily eine Familie gründen und die Vergangenheit vergessen. Sie geht mit ihm ins Burgenland.
„Denk-, Sprech-, Erinnerungsverbote – und eine sich sehr stark selbst zensierende Gesellschaft – sind die Themen dieses Buches.“ Britta Mühlbauer
Textauszug:
Das Haus Sigmundstadl 19 hat drei Stockwerke. Lily und ihre Eltern wohnen im zweiten Stock. Zwei Räume haben sie jetzt, Peperl gefällt das. Es gibt fließendes Wasser am Gang und ein Klo mit Wasserspülung. Der erste Raum ist die Küche. Sie ist zwei Meter breit und vier Meter lang. An der Mauer sind von der Eingangstür rechts beginnend der Waschtisch, der Küchentisch mit drei Sesseln und ein Bett, in dem Lily schläft, aufgefädelt. An der Breitseite gibt es ein Fenster, danach wieder an der Längsseite stehen eine Wäschetruhe, eine Kredenz, der Herd und die Kohlenkiste. Zwischen Kredenz und Herd geht es ins Wohnzimmer, in dem die Eltern auch schlafen. Die zwei Betten sind tagsüber hochgeklappt und verstecken sich hinter einem Vorhang im Einbauschrank. Das Fenster ist Peperls Blumenfenster und ihr ganzer Stolz. Im Zimmer gibt es einen Esstisch mit vier Sesseln, eine Couch, eine Nähmaschine, ein Tischchen mit Rollen und zwei Fauteuils. Das Tischchen und die Fauteuils werden in der Nacht zur Seite geschoben, damit die Betten Platz haben. Geheizt wird mit einem Kohleofen.
Die Wohnung ist näher am Stadtzentrum, und der Lendplatz mit dem Bauernmarkt ist auch gleich ums Eck. Die Nachbarn sind feinere Leute. Mit ihnen will Peperl sich anfreunden, für Lily sind sie ein guter Umgang. Peperl geht oft am Nachmittag mit ihrer Tochter spazieren. Der Volksgarten ist nicht weit, und in der Annenstraße, die jetzt Krefelder Straße heißt, gibt es viele kleine Geschäfte. Peperl schaut sich die Auslagen an und malt sich aus, was sie sich alles wird kaufen können. Die Fenster vieler Häuser sind mit Fahnen und Bildern des Führers geschmückt. Auch der Sigmundstadl ist ein rotes Fahnenmeer. Peperl hätte gerne Fahnen an ihren Fenstern, aber beide Fenster, das Wohnzimmerfenster und das Küchenfenster, schauen in den Hof. Da hätte keiner was von einer Fahne.
Zu Lilys Geburtstag fragt Peperl ihre neue Nachbarin, Frau Zöhrer, ob sie mit ins Café Rheingold kommen möchte. Das Café Rosegger in der Annenstraße heißt jetzt Café Rheingold. Ich habe gehört, dass es dort eine Hitlerbüste gibt, sagt Peperl. Sie betreten das Café, und gleich kommt der Ober und fragt, was er für die gnädigen Frauen tun kann. Wir haben gehört, dass es hier eine Büste unseres Führers gibt. Bitte meine Damen, gleich daneben ist ein Tisch für Sie frei. Sie können Ihren Kaffee quasi mit dem Führer höchstpersönlich trinken. Peperl bestellt zwei Kaffee mit Milch und zwei Löffeln Zucker, Lily bekommt heiße Schokolade und einen Krapfen. Frau Zöhrer ist von ihrer neuen Nachbarin beeindruckt. Sie weiß, wie man sich in einem vornehmen Etablissement zu benehmen hat. Peperl genießt die neue, bessere Zeit.
Die Autorin
Ulrike Winkler-Hermaden, geboren in Güssing, lebt im Weinviertel. Von ihr sind weiters erschienen: Mein Großvater war ein Kontinentenpendler sowie Rosina.
Die Autorin schreibt seit einiger Zeit unter dem Titel „Zwei Frauen gehen spazieren“ auch einen Blog.
Peter Pisa in: KURIER
Wird auf einen Sitz gelesen. Gern gelesen. Ein Leben läuft schnell ab, sowieso, und hier geht das noch schneller: die 1930er Jahre in Graz, Hitler … danach Schweigen. Es muss wohl die eigene Verwandtschaft der Autorin sein, mit der man sich durch die Zeit wirbeln lässt. Ein schöner Beweis, wie man mit einfachen Sätzen große Wirkung erzielen kann.
Robert Preis in: Kleine Zeitung
Ulrike Winkler-Hermaden hat ein Werk herausgebracht, das uns leicht und schnell ein wenig Grazer Geschichte serviert. Das Schicksal einer Familie wird anhand der Ereignisse um den Zweiten Weltkrieg geschildert. Trotz der Schwere des Themas leichte Lesekost.
Elisabeth Koci in: Wolkersdorfer Regionsjournal
Ulrike Winkler-Hermaden hat mit „Lily und Jack“ ihr drittes Buch veröffentlicht. Die in Schleinbach lebende Autorin hat sich auf die Spuren ihrer Familie begeben und eine autofiktive Geschichte konstruiert.
Regina Courtier in: Bezirksblätter Mistelbach
Die Autorin geht den spärlichen Fakten nach, die Lily in ihrem späteren Leben preis gibt, und verknüpft das Erlebte mit historischen Hintergründen zu einem sehr tief gehenden Roman über Krieg, Verbrechen und Liebe.
Ingrid Kainzner in: Bibliotheksnachrichten
Mit feinem Gespür lässt die Autorin anklingen, was alles an Hoffnung und Zuversicht, durch ein Regime zerstört wird, das Unmenschlichkeit und Rücksichtslosigkeit legitimiert. Auf nur 97 Seiten gelingt es ihr, die Atmosphäre einer typisch österreichischen Familie in der Zeit des Nationalsozialismus einzufangen. Ein, gerade für österreichische Leserinnen und Leser, interessantes, sehr zu empfehlendes Buch, das ohne Schuldzuweisungen auskommt und einfach zu denken gibt.
Gerhard Zeillinger in: Der Standard
Manchmal sind es die kleinen Geschichten, unaufdringlich, ohne großen Anspruch geschrieben, die zu beeindrucken vermögen und die man vielleicht nicht zufällig in Verlagen findet, die mehr an den Rändern des Literaturbetriebs angesiedelt sind. Lily und Jack ist so eine Geschichte, erschienen in der Edition Winkler-Hermaden im Weinviertel, eine Zeitgeschichte, die in den 1930er- und 1940er-Jahren in Graz und im Südburgenland spielt … Ulrike Winkler-Hermaden erzählt ein ganz gewöhnliches, eben typisches Frauenschicksal, und sie tut es mit einfachen Mitteln, geradlinig, mit leisen Tönen, aber beachtlicher Konsequenz. Und es beeindruckt, wie sehr eine solche Geschichte ganz ohne feministischen Fingerzeig erzählt werden kann.