Drosendorf

Drosendorf ist mein Sehnsuchtsort. Seit ein paar Jahren verbringe ich im Sommer dort immer wieder ein paar Tage und schreibe. Und im Winter, wenn es im Alltag viel wird, wenn es grau wird, kann ich mich in diesen Schreibraum zurückziehen, immer mit der Gewissheit, im nächsten Juli ist es wieder so weit. Dann packe ich meinen Koffer, nehme Stifte und leere Hefte, und es gibt es nichts anderes als diesen Ort und meine leeren Seiten, die gefüllt werden. Ich möchte nicht das ganze Jahr über in Drosendorf wohnen, aber die Protagonistin meines neuen Romanprojekts flieht dorthin. Sie lässt die Stadt hinter sich.

Ich kenne Drosendorf im Winter nicht. Und als Clasien diesen Filmclub entdeckt, der das ehemalige Kino des Ortes immer wieder bespielt und sie dorthin fahren will, weil sie Filme mag und Kinos an seltsamen Orten und weil der Club ein interessantes Programm anbietet, war ich sofort begeistert und will sie begleiten.

An einem Sonntag um 11 Uhr war der Film „Architecton“ im alten Kinosaal des Gasthofes Failler am Hauptplatz in Drosendorf angekündigt. Die Fahrt ins Waldviertel mit den Feldern, den Teichen, den menschenleeren Orten und dem unendlich weiten Himmel, steigert die Vorfreude auf unser Ziel. Wir kommen knapp vor 11 Uhr an, Parkplätze gibt es vor dem Kino genug. Die Straßen und Gehsteige sind glatt und eisig.

Die Sitzplätze im alten Kinosaal sind rund um kleine Tische gruppiert. Kaffee und Striezel sind im Kartenpreis inkludiert. Kaum haben wir unseren Platz gefunden, beginnt auch schon der Film auf einer riesigen Leinwand. Er ist als ein „Gedicht gegen Beton“ angekündigt und ich wusste bis dahin nicht, wie sehr Bilder über Steine bewegen können. Fasziniert sehe ich Tempelruinen, von Erdbeben und Krieg zerstörte Häuser, Geröll, das die Hänge hinunter donnert, und all das begleitet von einer Musik, die „die Steine tanzen lässt“. Nach 97 Minuten bin ich tief beeindruckt, aber auch traurig: die eindrucksvollen Bilder zeigen den Lebenszyklus der Steine, der in der Natur beginnt und auf der Müllhalde endet.

Der Kinosaal wird nach der Vorstellung rasch geräumt, gleich anschließend findet hier ein Kindermaskenball statt. An den Wänden hängen nun Luftballons, Faschingskrapfen werden geliefert.

Auf der Straße ist es nun nicht mehr glatt. Wir freuen uns, dass das Mohnkaffee offen hat . Im Sommer esse ich hier Eis, jetzt gibt es eine wunderbare, warme Suppe.

Unsere nächste Station ist das Schloss, das als Hotel geführt wird und in dem ich meine Sommertage verbringe. Ein weißer Zettel am Tor macht uns aufmerksam, dass derzeit Filmarbeiten stattfinden. Es ist offensichtlich drehfreier Tag. In „meinem Arbeitszimmer“ liegen Filmrequisiten herum und ein riesiges Doppelbett hat diesen Aufenthaltsraum in ein Schlafzimmer verwandelt.

Um ins Strandbad zu kommen, müssen wir noch einmal den Hauptplatz überqueren. Der Platz ist umrahmt von barocken Fassaden alter Bürgerhäuser. Im Jazzclub wird eine Veranstaltung angekündigt, der Gasthof Failler hat bis 1. März Wintersperre. Ich schwärme Clasien von dem guten Essen dort vor. Die Kirche ist offen. Das Heilige Grab unter der Orgelempore aus dem Jahr 1881 ist aus Gablonzer Glassteinen hergestellt und leuchtet bunt. In einer Fensternische steht ein barocker Glassarg. Hier liegt die heilige Valentina in einem prächtigen Kleid. Aus einer angebrachten steinernen Tafel geht hervor, dass ihr Sterbejahr 317 gewesen sein muss.

Durch einen offenen Seiteneingang können wir die Anlage des Strandbades betreten. Die Wiese am Ufer der Thaya ist leer und ruhig. Im Gebäude des Eingangsbereiches ist neben der Kassa auch ein kleines Buffet untergebracht. Hier gibt es im Sommer kleine Imbisse, Kuchen und einmal in der Woche einen Cocktailabend.

Mit dieser Strandbadanlage überzeuge ich nun Clasien endgültig: Ich verstehe jetzt, warum du im Sommer so gerne hierher fährst.

Gleich am Anschluss am Ufer hinter einem Maschendrahtzaun steht ein altes, ziemlich verfallenes Haus. Das Grundstück grenzt an die Thaya, das Dach des Hauses hat ein Loch, die Scheiben der Fenster sind eingeschlagen, die Türen hängen schief in den Angeln. In meinem Roman ist dies Annas Haus. Da ist es ein gepflegtes Grundstück, die Ziegeln des Daches sind rot, die Kastenfenster braun und die Wände weiß. Im Garten ist ein kleines Gemüsebeet angelegt, es gibt Ribisel- und Himbeerbüsche. Im Sommer sitzt Anna oft auf der Bank neben der Eingangstür. Sie liest, unterhält sich mit Fritz, malt mit dem Kind, telefoniert mit ihrer Mutter. Der Winter ist sicher einsamer. Aber da arbeitet Anna schon im Lebensmittelgeschäft ihres Onkels und am Wochenende besucht sie ihre Eltern in der Stadt. Johann kommt auch immer öfter vorbei …

Als Clasien und ich uns wieder auf den Rückweg zu unserem Auto machen, muss ich lachen. Den Johann habe ich gerade erst kennen gelernt, und jetzt könnte ich dieses Märchen ganz rasch zu Ende schreiben. Es wird geheiratet, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch immer glücklich und zufrieden in Drosendorf an der Thaya.

Bevor wir ins Auto steigen, gönnen wir uns im Mohnkaffee noch einen Mohnstrudel und eine Melange. So gestärkt fahren wir wieder gemütlich nachhause ins Weinviertel.

Unsere Bestseller