Tangente St.Pölten 2024

Clasien und ich fahren mit dem Wieselbus von Wolkersdorf nach St. Pölten. Es lockt uns der Kunstparcour entlang der Traisen. Dort werden 23 künstlerische Positionen nationaler und internationaler Kunstschaffender gezeigt, die aus unterschiedlichen Perspektiven in einen Dialog mit dem Wasser treten. So lautet die Beschreibung auf www.tangente-st-poelten.at.

Die Fahrt ist gemütlich. Fast 1,5 Stunden gondeln wir durch Niederösterreich. Fürs tägliche Pendeln ist die Fahrt doch sehr lang, es herrscht schläfrige Stille im Bus.

Im Landhausviertel beim Klangturm steigen wir aus. Bei der Besucherinformation des Landhauses gibt es leider keine Informationen zum Parcour. Wir hatten uns einen Übersichtsplan erhofft. So halten wir uns an unser Handy, an die zahlreichen Tafeln mit QR-Codes und an blasse, blaue Markierungen am Boden.

Der Tag ist sonnig, und auch ohne die Kunstwerke wäre unser Spaziergang sehr idyllisch.

Unseren ersten Halt machen wir bei der Arbeit von Edgar Cahel. Er „opferte“ der Traisen 13 Eisskulpturen. Diese bestehen aus Flusswasser und beschwören die Gesundheit des Wasserkreislaufes. Am Ufer ist eine Lehmskulptur aufgebaut, die langsam durch die Einwirkung der Witterung auseinanderbrechen und so wieder Teil der Erde sein wird.

Unter der Westbahnbrücke finden wir eine wunderbare Qualle. Amanda Pinas Arbeit ist eine Skulptur aus Hängemattengeflecht. Im Wasser breitet sie ihre Fäden aus und im Inneren hält sie ein Blumenopfer als Dank an den Fluss bereit.

Cecylia Malik fordert uns auf „ein Fluss zu sein“: Such dir den Lieblingsfluss aus deiner Kindheit aus, oder jenen, an dem du jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit vorbeikommst. 80 Tafeln zeigen die Namen von Flüssen, die für die KünstlerInnen und die PartnerInnen des Parcours von Bedeutung sind.

Ich mache schnell meine Augen zu und der erste Fluss, der mir einfällt, ist die Mur. Ist also meine Grazer Schulzeit doch nicht spurlos an mir vorübergegangen.

Unser Spazierweg führt uns immer wieder an wunderbaren künstlerischen Arbeiten vorbei, die zum Nachdenken anregen. Ich bin froh, dass Clasien fotografiert und freue mich schon aufs Nachschauen und erinnern zuhause.

Am Viehofner See schwimmt eine Skulptur von Eva Grubinger und Werner Feiersinger. Zwei Raftingboote sind durch einen Edelstahlträger verbunden. Der Edelstahl zeigt ein Spiegelbild seiner Umgebung, erinnert an eine unsichtbare Landschaft und ist dadurch ein schwimmendes Gegenmahnmal, das an die NS-Vergangenheit des Areals erinnert. Auf dem Gelände des Badesees befand sich zwischen Juli 1944 und April 1945 ein Lager für jüdische Zwangsarbeiter aus Ungarn. Rund 180 Menschen waren in drei Baracken untergebracht. Erschöpfung führte zu zahlreichen Todesfällen. Im April 1945 wurde das Lager aufgelöst und die ZwangsarbeiterInnen wurden im sogenannten Todesmarsch Richtung Mauthausen getrieben.

Rita Fischers Skulptur bei der ehemaligen Segl-Mühle setzt sich aus Wasserbehältern, Baumstämmen, Pflanzen, geformten oder zerbrochenen Einzelstücken und Müll zusammen, der im Mühlbach und in der Traisen gesammelt wurde. Rita Fischer hat aus diesem Material ein zerbrechlich wirkendes Gebilde geformt, das sich am Eingang der Mühle gefangen hat.

Unser wundersamer Spaziergang lässt sich schwer in ein paar Worte fassen, viele Eindrücke und Nachdenklichkeit hinterlässt er bei Clasien und mir.

Vor unserer Heimfahrt essen wir im Landhausstüberl. Ich bestelle Flammkuchen. Er schmeckt gut.

Am Weg zum Bus kommen wir am Objekt „Hohlkopfwand“ des Bildhauers Hans Kupelwieser vorbei, das 2000 fertiggestellt wurde. Etwa 100 Köpfe aus seriellem Industrieguss spiegeln sich im Marmor eines Gebäudes.

Kupelwieser sieht das nicht nur als architektonische Anspielung auf das Gebäude, sondern setzt damit auch dessen Bedeutung ironisch dem starren Blick der Köpfe entgegen.

Im Bus herrscht wieder Stille. Nur Clasien und ich können nicht aufhören, über das Gesehene zu reden. Hoffentlich haben wir nicht zu sehr gestört.

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